
Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
Nur noch ein paar Tage und der am 14. September neu gewählte Stadtrat tritt das erste Mal zusammen. Die erste Sitzung nach einer Wahl, auch konstituierende Sitzung genannt, steht traditionell erst mal im Zeichen von Wahlen und der Festlegung der künftigen Arbeitsstrukturen. Sachfragen spielen noch keine Rolle. Oder einfacher: es wird erstmal um Pöstchen gehen, nicht um Positionen. Erstmal nicht so interessant, oder?
Na ja, es kann doch spannend sein, was sich im Vorfeld einer solchen Sitzung abspielt. Denn das lässt Rückschlüsse auf das zu, was uns in den nächsten 5 Jahren erwartet.
Zwei Beispiele sind in diesem Zusammenhang sehr aussagekräftig.
Beispiel Nr. 1: die neue Ratsmehrheit aus CDU, Grünen und einer neuen Kombi-Fraktion aus der FDP und "Velbert gemeinsam" (so eine Art "schwarze Ampel"), unterstützt von der SPD, beantragt die Zahl der Sitze in den Ratsausschüssen von jetzt 17 auf 13 zu reduzieren und begründet dies mit notwendigen Sparmaßnahmen. So weit auf den ersten Blick in Ordnung. Nun findet jedoch die eigentliche kommunalpolitische Arbeit in den Ausschüssen statt und da muss man beim zweiten Blick einiges feststellen. Zufällig ist dies nämlich genau die Ausschussgröße, bei der die Partei "Die Linke" keinen Anspruch mehr auf einen Ausschusssitz hat. Und zufällig bekommen die beiden Wählergemeinschaften bei dieser Ausschussgröße Probleme, ihre vielen engagierten Mitglieder in den Ausschüssen mitarbeiten zu lassen.
Nun gut, man spart etwas durch diese Maßnahme (rund 16.000 €). Aber man schränkt eben doch auch demokratische Teilhabe erheblich ein. Ist es das wert? Dazu mag jeder seine eigene Meinung haben. Fakt ist: die Einsparung der völlig überflüssigen Position des dritten (!) stellvertretenden Bürgermeisters und eine Reduzierung der üppigen Zusatzvergütung für Ausschussvorsitzende (aktuell rund 5.500 € pro Jahr! wofür?) würde mehr als die dreifache Summe einsparen - für die gesamte Wahlperiode von fünf Jahren wären das immerhin 265.000 €!
Ein entsprechender Antrag für die Ratssitzung liegt vor. Wir werden dann sehen, ob es der schwarzen Ampel ums Sparen oder um politische Machtspielchen und Postengeschacher geht.
Ach so, Stichwort Postengeschacher: das wäre Beispiel Nr.2. Ein solches deutet sich nämlich bei einem anderen Thema an. Angeblich schließen sich fast alle Ratsfraktionen (die genannte schwarze Ampel plus SPD plus UVB) zu einer sogenannten "Wahlliste" zusammen, um mit einem (legalen) Geschäftsordnungstrick die lukrativen Vorsitze in den Ratsausschüssen unter sich aufzuteilen. Die zweitstärkste Ratsfraktion, die AfD, bliebe so ohne Ausschussvorsitz.
Die Wählergemeinschaft "Velbert anders" hat es abgelehnt, an dieser "Einheitsliste" teilzunehmen.
Nun gibt es viele, oft auch sehr gute Gründe, gegen die AfD und ihre Positionen zu sein - ohne Zweifel. Aber rechtfertigt das diesen ungewöhnlichen Schritt?
Jedenfalls wiederspricht es eklatant meinem Demokratieverständnis. Ich bin aber nicht so wichtig. Viel schlimmer: hier haben viele Parteien nichts aus dem Wahlergebnis gelernt. Über 7500 Menschen (rund 22 % der Wähler) haben am 14.9. AfD oder Linkspartei gewählt. Einer der Gründe: Politikverdrossenheit. Man ist es leid, dass das Geschacher um Pöstchen wichtiger ist als Sachpolitik. Und was macht man direkt nach der Wahl: ignoriert diese Menschen und macht munter weiter.
Ich meine jedenfalls, dass man sich inhaltlich mit extremen Positionen von links und rechts auseinander setzen muss. Formale Ausgrenzung bringt gar nichts. Und ich meine auch, dass ich Pflichten nur bei jemanden einfordern kann, dem ich auch Rechte zugestehe. Ich bin nicht das Bundesverfassungsgericht und maße mir auch nicht an, deren Urteil über die AfD ersetzen zu können. So lange diese Partei nicht verboten ist, hat sie die gleichen demokratischen Rechte wie alle anderen auch.
Ausserdem: lassen wir die Kirche mal im Dorf wie man so schön sagt. Was soll denn ein Ausschussvorsitzender der AfD Schlimmes anrichten? Wenn er sich nicht benimmt, kann er jederzeit abgewählt werden. Und wenn er es gut macht: umso besser. Oder hat man genau davor Angst?
Ich werde deshalb schon in meiner ersten Ratssitzung gegen den Strom schwimmen und meiner eigenen Überzeugung folgen. Dafür bin ich ja nach meinem Verständnis auch gewählt worden. Ich bin mal gespannt, wie viele Kolleginnen und Kollegen in allen Fraktionen das nicht nur genau so sehen (da kenne ich viele), sondern auch öffentlich dazu stehen.
Gerne berichte ich nächste Woche an dieser Stelle.
Bis dahin verbleibe ich mit den allerbesten Wünschen für ein schönes Herbstwochenende!
Ihr
Stefan Freitag